Infekte bei Krebspatienten:
Wie entstehen diese, und wie kann man das Immunsystem stärken?

Professor Rummel erläutert den Zusammenhang zwischen Krebserkrankungen und einem Immundefekt sowie Möglichkeiten, Infekte zu vermeiden und das Immunsystem zu stärken.

Welche Gründe gibt es für einen sekundären Immundefekt,
und wer ist betroffen?

Bei sekundären Immundefekten ist das Immunsystem von Patienten stark geschwächt. „Sekundär“ bedeutet in diesem Fall, dass der Defekt aufgrund einer Erkrankung oder aufgrund einer Behandlung wegen dieser Erkrankung entstanden ist. Betroffen sind beispielsweise Patienten mit hämatologischen Erkrankungen wie der chronischen lymphatischen Leukämie (CLL) oder dem multiplen Myelom (MM) und auch anderen Non-Hodgkin-Lymphomen (NHL). In diesen Fällen entsteht der Immundefekt auch durch die Erkrankung selbst, da wichtige Zellen des Immunsystems betroffen sind. Außerdem beeinträchtigen bestimmte Krebsthera­pien das Immunsystem. Beispielsweise bekommen Patienten mit Non-Hodgkin-Lymphomen in vielen Fällen das wirksame Medikament Rituximab, das aber gleichzeitig das Immunsystem stark beein­trächtigen kann. Das kann sogar von langer Dauer sein. Wir wissen inzwischen, dass in manchen Fällen noch viele Jahre nach einer Behandlung und der Heilung der eigentlichen Krebserkrankung das Immunsystem noch weiterhin geschwächt ist. 

 

Worauf sollte man bei diesen Patienten achten?

In der Hämatologie gilt: Die Bestimmung der Immunglobuline (IgG) gehört zur Routinelaboruntersuchung. Außerdem achten wir immer darauf, wie es dem einzelnen Patienten geht. Manche Betroffene bekommen trotz niedriger IgG-Spiegel kaum Infekte. Andere Patienten mit höheren IgG-Werten sind dauernd krank und angeschlagen. Sobald eine relevante Krankheitslast in Form von gehäuften Infekten oder der wiederholten Gabe von Antibiotika vorliegt, werden wir aktiv und versuchen, das Immunsystem mit Immunglobulinen, die beispielsweise als Infusion zugeführt werden, zu stärken.

 
 

Wie belastend ist die Infektanfälligkeit für die Patienten?

Die Infektanfälligkeit ist nicht nur belastend für die Patienten, sie kann auch gefährlich werden, zum Beispiel wenn es zu einer Lungenentzündung (Pneumonie) kommt. Ist das Immunsystem bereits stark geschwächt, können auch sonst wirksame Medikamente wie Antibiotika oder Virustatika oft nicht mehr so gut helfen. Man sollte deswegen gleichzeitig zur Infektbehandlung auch immer einen Aufbau des Immunsystems in Betracht ziehen.

 

Können Infekte den Krankheitsverlauf beeinflussen?

Es gibt immer wieder Patienten, die während ihrer Krebstherapie schwere Infekte bekommen und deshalb im Krankenhaus behandelt werden. In so einer Situation kann zum Beispiel eine Chemotherapie zunächst abgesetzt oder verschoben werden, um dem Patienten Zeit zur Erholung zu geben und das Immunsystem zu stärken. Damit die not­wendigen Therapien tatsächlich eingesetzt werden können, sollte immer auch der Immundefekt bedacht und behandelt werden.

 
Prof. Dr. Rummel
 

Was können die Patienten selbst tun, um sich vor Infekten zu schützen?

Mir ist es wichtig, dass Patienten ein weitgehend normales Leben führen – natürlich unter Berück­sichtigung einiger Grundregeln angesichts ihrer schweren Grunderkrankung. Dazu gehören die bekannten Regeln wie Händewaschen und -desinfektion sowie der Rat, kranken Mitmenschen, sofern möglich, aus dem Weg zu gehen. Pilze und Schimmel werden oft unterschätzt. In der Mülltonne oder beim intensiven Gärtnern finden sich viele Sporen – für Gesunde kein Problem, aber bei Immungeschädigten können schwere Lungenentzündungen (Pneumonien) durch Einatmen entstehen. Hier rate ich zur Vorsicht. Es gibt aber auch Grenzen der Umsetzbarkeit, denn die Patienten sollen weiterhin ihr Leben genießen und nicht vor jeder Familienfeier zurückschrecken.

 

Wie erleben Patienten die Immunglobulin-Gabe?

Bei uns in der Klinik werden Immunglobuline vorwiegend intravenös gegeben. Die Patienten kommen dann alle drei bis vier Wochen zu uns zur Verabreichung der Immunglobuline. Vor der Infusion messen wir den IgG-Talspiegel; dieser be­schreibt den IgG-Wert am Ende des Dosisintervalls. Dies ermöglicht uns eine individuelle Behandlung, etwa die Anpassung der Behandlungsintervalle oder der -dosis. Mein Eindruck ist, dass die Patienten sehr dankbar für die Möglichkeit der Immunstärkung mit Immun­globulinen sind. Sie wollen den Erfolg der Krebstherapie nicht durch gefährliche Infekte riskieren und freuen sich über die bessere Lebensqualität.

 

Krebspatienten müssen viel aushalten, aber dauernde Infekte müssen kein Schicksal sein! Man kann das Immunsystem wirkungsvoll stärken und unterstützen.

 

Welche Rolle haben andere Behandler, zum Beispiel Hausärzte?

Meine Botschaft an alle Kollegen: Wenn ein Patient mit hämatologischer Erkrankung immer wieder Infekte erleidet, sollte man die IgG-Werte messen und bei niedrigen Werten eine Immunstärkung in Betracht ziehen. Eine Überweisung an uns behandelnde Kliniken und Zentren kann bei der Umsetzung der Immunstärkung helfen.

 
Dr. med. Karsten Franke

Dr. med. Karsten Franke

Direktor des Instituts für Klinische Immunologie,
St. Marien-Krankenhaus Siegen

„Infektrisiko bei Krebspatienten senken"

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